Peter
Peters erste Kontaktaufnahme zu mir erfolgt über das „Online- Kontakt- Formular“. Er will in seiner ersten Nachricht nur eines wissen, nämlich ob ich im Rahmen der Gespräche der Verschwiegenheitsverpflichtung unterliege.
Ich schreibe zurück, dass das der Fall ist.
Er antwortet erst Tage später: „Wenn ich zu einem Termin komme, möchte ich nicht meinen echten Namen oder meine Adresse nennen. Ist das ok?“
Für den Erstkontakt geht das für mich in Ordnung.
Peter meldet sich diesmal noch am selben Tag – er würde gerne einen Termin vereinbaren.
Mir gegenüber sitzt ein Mann, den ich auf Ende vierzig schätze – er wirkt sehr förmlich, so als ob er sich zu einem geschäftlichen Meeting bei mir eingefunden hätte.
Als ich ihn frage, was ihn zu mir geführt hat, holt er tief Luft und seine Antwort klingt wie ein Statement, als er ausführt, dass er Kinderschänder hasst und mit solchen Menschen nichts zu tun haben will
„Und was hat das mit dir zu tun?“, frage ich.
„Ich will das nur gesagt haben. Weil ich nicht so bin wie die“, antwortet er.
Es scheint, als wäre es ihm ein großes Bedürfnis, sich davon abzugrenzen, obwohl es da ganz offenbar etwas gibt, das ihn genau daran zweifeln lässt.
Peter versichert sich noch einmal über meine Verschwiegenheitsverpflichtung, ehe er – ganz langsam und dosiert, von sich zu erzählen beginnt.
Er hätte nie ein sexuelles Interesse an Kindern gehabt. Niemals.
Vor gut zwei Jahren hat er seine neue Partnerin kennengelernt.
Mit deren 12jähriger Tochter würde er sich gut verstehen. Alles wäre gut gewesen. Geradezu perfekt.
Deshalb wäre seine seine Partnerin mit ihrer Tochter schon kurze Zeit später bei ihm eingezogen.
Von da an, meint er, begann alles aus dem Ruder zu laufen.
Er stoppt, schüttelt den Kopf – und schweigt.
Ich frage ihn: „Was ist aus dem Ruder gelaufen?“
Jetzt lächelt er kurz. „Sie ist einfach ein schönes Mädchen.“
Ich: „Sprechen wir von deiner Partnerin, oder ihrer Tochter?“
Das Lächeln verblasst. „Sie ist schon sehr reif für ihr Alter.“
„Wir sprechen also von der Tochter?“, hake ich nach.
Er nickt schließlich.
Peter wirkt plötzlich sehr aufgebracht, als er von diesem „folgenschweren Tag“ erzählt. Und wenn es diesen Tag nicht gegeben hätte, meint er im Brustton der Überzeugung, dann wäre jetzt auch immer noch alles in Ordnung.
Sie wäre früher als geplant von der Schule nach Hause gekommen- er hätte ihre Anwesenheit erst gar nicht bemerkt. Erst als er das Badezimmer betrat, hätte er sie gesehen. Nackt unter der Dusche.
„Ich wollte sofort rausgehen, ehrlich!“
„Aber das hast du nicht getan?“; frage ich nach.
Kopfschütteln. „Ich konnte nicht.“ Und dann ergänzt er leise- „Dieser Körper… sie hat mich einfach angezogen.“
Peter erzählt, dass er lange- viel zu lange- im Bad gestanden und sie beobachtet hätte. Die Betrachtung ihres nackten Körpers hätte ihn so erregt, dass er nicht in der Lage gewesen wäre, sich aus dem Raum zu bewegen.
Seither fühlt er sich wie besessen von dem Gedanken…. – den Rest lässt er offen.
„Was?“, frage ich. „Sie zu berühren?“
Er nickt.
„Mit ihr zu schlafen?“
Er nickt erneut, verbirgt sein Gesicht hinter den Händen.
„Was ist dann passiert?“, will ich wissen.
Peter sieht mich jetzt direkt an. „Das ist alles. Mehr war nicht.“
Nein, das war nicht alles, davon bin ich überzeugt.
Möglicherweise hat Peter sie nie berührt – aber es gibt da noch andere Details, die er mir verschwiegen hat.
Zum Beispiel – wie das Mädchen auf seine Anwesenheit im Bad reagiert hat, denn die ist ihr sicher nicht verborgen geblieben.
Und dann wären noch seine Hinweise darauf, dass sie ein schönes und frühreifes Mädchen wäre – was womöglich eine Entschuldigung für sein Begehren liefern sollte?
Ich konfrontiere Peter mit meinen Gedanken und mache klar, dass er sich meiner Unterstützung dann sicher sein könne, wenn wir eine Vereinbarung darüber schließen, dass er ab jetzt aufrichtig zu mir und zu sich selbst ist; die Bereitschaft hat Verantwortung für sich zu übernehmen – dabei ist auch klar, dass es in unserer Vereinbarung keine Spielräume für Tatbegehungen gibt.
Dass Peter während unserer gemeinsamen Arbeit immer wieder in Versuchung geriet, der Tochter einen Teil der Verantwortung zu übertragen („sie hat kokettiert“- „sie ist frühreif“…) war möglicherweise Teil seiner Abwehrstrategie, um sich selbst von jeder Schuld zu entlasten.
Peter suchte bei mir einerseits nach Absolution, zu einem Teil wollte er sich von den belastenden sexuellen Fantasien auch befreit wissen- doch gleichzeitig war er anfangs noch nicht bereit, sich gänzlich auf einen Veränderungsprozess einzulassen.
In der gemeinsamen Arbeit stand die Gestaltung einer gesunden, erwachsenen Sexualität im Fokus, gleichzeitig aber auch eine offene, schonungslose Reflexion der problematischen Anteile, die ihm Schwierigkeiten bereiteten.
Die heimliche Betrachtung der Tochter seiner Partnerin unter der Dusche war bereits ein Übergriff und dessen musste Peter sich stellen.
Ich zolle Peters Mut jede Menge Respekt. Ich weiß, dass es ihn sehr viel Überwindung gekostet hat, sich seine Neigungen einzugestehen und – trotz mancher Ausflüchte zu Beginn, letztlich am Ende doch sehr konsequent an sich zu arbeiten.
Er war schließlich sogar bereit, seine Partnerin einzubeziehen – dass es noch davor zu einer Trennung kam, lag allerdings auch daran, dass sich manche Vorstellungen von „Beziehung“ bei beiden als Illusion herausgestellt haben.
Meine Empfehlung zu einer begleitenden Psychotherapie, hat Peter bislang nicht umgesetzt – vielleicht kann er sich dazu noch durchringen.
Der Weg ist noch nicht zu Ende.